BUND Bezirksgruppe Leonberg

Wer macht aus Abfall Fruchtbarkeit?

Vortrag von Johanna Moltmann-Hermann bei der Mitgliederversammlung am 30.11.2021 begleitend zur Errichtung von Laubkomposthaufen vor der Blosenbergkirche und am Krähwinkel

Boden – Erde – Humus - Diese alltäglichen Begriffe möchte ich heute in einer halben Stunde
genauer unter die Lupe nehmen, weil das Verständnis von Boden in der städtischen Bevölkerung
nicht mehr selbstverständlich und der Umgang mit ihm in Zeiten der Klimakrise sehr wesentlich ist.
Auch in der Kontroverse zwischen dem Naturschutz und der Landwirtschaft geht es zentral um den
Umgang mit dem Boden. Boden ist überhaupt oft ein Zankapfel: wem gehört der Grund, wer darf
das Gründstück bebauen, was darf darauf hergestellt werden und was darf auf den Boden geworfen
und was gar in der Erde vergraben werden. Genauso strittig aber auch, was darf aus dem Boden
ausgegraben werden. Weil Boden kostbar und begrenzt ist, gibt es viele Gesetze zum Umgang mit
ihm.
Die Vermessung des Bodens bestimmt die Grenzen der Länder und ihrer Herrschaft. Boden ist aber
auch ein Synonym für Erde. Wenn der Bauer den Acker umpflügt spricht er von gutem und
schlechtem Boden. Erde wiederum kann den Planeten bezeichnen oder auch den Stoff, aus dem sie
besteht. Während die vermessene Erdoberfläche technisch, politisch und ökonomisch zu verstehen
ist, hat der Mutterboden eine ganz andere Qualität. Er ist ein Lebensraum für die Pflanzen und Tiere
an der Oberfläche und er ist ein Gefüge von organischem und nicht organischem Material. In diesen
fruchtbaren Mutterboden möchte ich jetzt tiefer graben.
Um zu verstehen, was alles einen fruchtbaren Boden ausmacht, will ich seiner Entstehung
nachgehen. Schon vor unserer Zeit und immerwährend bildet er sich neu. Ich beginne mit der
mineralischen Komponente: Der rohe Fels wird von physikalischen Kräften wie Wind und Wetter,
Hitze und Frost mechanisch zerkleinert. Dort, wo Stein, Wasser und Luft sich begegnen, entsteht
durch die Wirkungen der Atmopshäre Geröll, Kies, Sand. Die sind leblos. Ihre allerfeinste Fraktion
der zermahlenen Silikatkristalle ist der Ton.
In seiner Feinheit und durch den Einfluss von pflanzlichen Säuren ändert der Ton die Eigenschaft
von Gestein. Als feiner Stoff hat er eine immense Oberfläche (1g Ton hat eine aktive Oberfläche
von 1000 m³) und kann darauf Wasser und Mineralsalze binden. So quillt er auf und wird ein
Kolloid. Kolloide nennt man Stoffe aus winzigen Partikeln, die im Wasser schweben oder in
trockenerer Umgebung gallertig werden oder knetbar. Wir kommen später auf den kolloidalen Ton
zurück und merken uns hier, dass er mineralischen Ursprungs ist und Wasser samt Salzen binden
und wieder abgeben kann. (durch schwache elektrische Kräfte)
Auf einem reinen Tonboden kann aber doch nichts wachsen. Ihm fehlen die Luftporen für die
Atmung. Dafür braucht er einen Anteil von unlöslichem Sand. Die ideale Mischung, sandiger
Lehm, ist der Traumboden von Bauern und Gärtnern. Die Erde muss atmen können, weil das
organische Material, die Holz- und Blattabfälle erst durch die Verdauung von Lebewesen wieder
verfügbar werden für die Pflanzen. Die Arbeit vollbringen die Destruenten. Die sind neben den
Pflanzen als Produzenten, den Tieren als Konsumenten die große zerlegende Kraft im Ökosystem,
zwar fast unsichtbar, aber immens wichtig. Weil wir über Boden sprechen, möchte ich die
Destruenten, die Verweser heute ins Rampenlicht rücken.

Am besten gehen wir dazu gedanklich in den Wald. Der Boden ist weich, viele Lagen von Blättern
schichten sich übereinander, un ter dem trockenen diesjährigen kommt das braune letzjährige Laub,
deutlich angefressen, dunkel, feucht. Wenn man tiefer gräbt, sieht man keine Blätter mehr, sondern
dunkelbraune Krümel, die noch tiefer in mineralischen Boden übergeben. Jeden Herbst fallen
Tonnen von buntem Laub auf den Waldboden. Wenn man sich vorstellt, wie viele Tüten von Laub
man unter einem Baum einsammelt, kann man nur staunen, dass der Waldboden nicht nach jeder
Vegetationsperiode höher wird und schließlich die Bäume begräbt. Ein abwegiger Gedanke? Was
geschieht denn im Wald, wofür wir uns in der Stadt so viel Mühe geben müssen?
Im Komposthaufen des eigenen Gartens kann man diesen Vorgang der Verwesung, ganz aus der
Nähe verfolgen. Nach der Vegetrationsperiode im Herbst quillt er über von abgeschnittenen
Pflanzenstängeln, trockenem Gras und Laub von Büschen und Bäumen. Was man anderswo
aufgeräumt hat, kann man hier nach alter Mütter Sitte aufschichten und gut komponieren: dürres
Laub schichtweise mit getrockntem Gras und gehäckseltem Grünzeug abwechseln. Dazwischen
einen Anteil stickstoffreichen Mist und ganz wichtig, immer wieder eine Schaufel brauen Kompost
vom letzten Jahr. In diesem Humus sind alle Arbeiter des Bodens enthalten. In einer Handvoll
Humus leben mehr Tierchen als Menschen auf der ganzen Erde. Der Vorteil des Komposthaufens
gegenüber dem Globus ist allerdings, dass hier nicht EINE Art vorherrscht, sondern sich eine Fülle
verschiedener Tiere und Lebensformen versammelt. An der Zersetzung ist ein wahrer Mikrokosmos
beteiligt mit vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen untereinander, zwischen Pflanzen
und Tieren, Räubern und Beute und organischen und anorganischen Elementen. Davon kennen wir
nur die ganz großen Bodenlebewesen, die Regenwürmer, Asseln, Tausenfüßer, Maden und Larven.
Nicht sichtbar, aber wohl spürbar sind die Bakterien, die sich im feuchten nährstoffhaltigen Milieu
als Erste vermehren. Am nächsten Tag schon ist der Komposthaufen warm, dampft sogar im
November vom heißen Eifer der Mikroorganismen. Das lässt in wenigen Tagen nach. Wenn man
hineingräbt, sieht man die weiße Zeichnung der Strahlenpilze auf den Blättern und riecht den
bekannten Erdgeruch, den die Strahlenpilze ausströmen.
Die große Zahl der einzelligen Arten hat sich im Laufe der Erdentwicklung an die verschiedensten
Lebenbedingungen angepasst: trocken oder lieber feucht, warm oder kalt, Sauerstoff reich oder
luftarm. Manche können ohne oganische Nährstoffe auskommen wie die Pflanzen, auch sie
assimilieren CO², nehmen aber die Energie dafür nicht vom Licht, sondern aus der Oxidation von
anorganischen Verbindungen. Von besonderer Bedeutung sind die Nitrifikanten, Bakterien, die den
Luft-Stickstoff oxidieren können und damit den Boden anreichern. Dank ihrer Kleinheit können
Bakterien sich enorm schnell vermehren und sobald ihr Nahrungssubstrat weggefressen ist, sterben
sie wieder ab. In diesen Tagen haben sich dann schon Amöben und Rädertierchen vermehrt, deren
Leibspeise sie sind und die sich in der Folge vermehren, nach ihnen dann auch Springschwänze und
Borstenschwänze, urtümliche Insekten, die an Stelle der Flügel Springgabeln haben, die ihnen in
den Bodenporen mehr nützen. Der Abfall der einen Art ist die Nahrung der folgenden, die sich im
Laufe der Entwicklung des Laubhaufens vermehren und absterben, verdauen und zur Nahrung
werden in einer unsichtbaren Folge von biochemischer Umsetzung. Sie bilden eine Nahrungskette.
Man könnte meinen, Tiere hätten im Ökosystem des Bodens keine großen Entfaltungsmöglichkeiten
mehr, wo doch die entscheidenden Abbaustufen von Vertretern er Mikroflora geleistet werden. Dass
genau das Gegenteil der Fall ist, zeigt einmal mehr, dass unsere rationalen Vorstellungen mit den
Prizipien der Natur oft wenig übereinstimmen. Im Gegensatz zur Technik geht es in biologischen
oder ökologischen Systemen nie darum, eine bestimmte „Aufgabe“ möglichst zielstrebig, rasch und
effizient zu erledigen. Eher scheint es umgekehrt darum zu gehen, ein Ziel möglichst reich an
umwegen, möglichst verzögert, möglichst komplex zu erreichen. Auf diese Weise bleibt nicht nur

die organisch gebundene Energie lange erhalten, sondern es entsteht vor allem ein Netz von
Beziehungen, das so vielfältig geknüpft ist, dass es auch größeren Belastungen elastisch standhält.
Die Ergebnisse im Sinne einer gestellten Aufgabe sind überdies in einer geradezu beneidenswerten
Weise optimal, d. h. sie dienen nicht nur einem, sondern vielen Zwecken. Die Tierwelt im Boden ist
tatsächlich artenreicher als die darüber. Es gibt kaum eine Tiergruppe, von der nicht auch Vertreter
ständig oder zeitweise Bodenbewohner wären. z. B. die Käfer, die als Larven jahrelang im Boden
fressen und nur ein paar Wochen in verwandelter Form sich in der sichtbaren Welt um die
Fortpflanzung kümmern. Der ungeheuer formenreiche Stamm der Gliederfüßer ist mit unzähligen
Arten an der Bodenfauna beteiligt: Skorpione, Spinnen, Weberknechte. Milben, Asseln,
Tausenfüßer und von den Insekten die Grillen, Ohrwürmer, Termiten, Ameisen, Käfer und
Schmetterlingslarven, Fliegen und Mücken.
Die häufigsten und wichtigsten von ihnen sind die Milben und Springschwänze. Milben zerkleinern
Zellulose, Holz Material mechanisch, sie bereiten damit Bakterien und Pilzen die Speise vor. Wegen
ihres großen Vermehrungspotenzials, 12 Generationen/ Jahr sind auch die Springschwänze oder
Collembolen so wichtig. Auch sie zernagen halbverrottete Pflanzenteile und bekommen von den
daran anhaftenden Bakterien ihre Energie. Am klein gehäckselten Material können nun wiederum
Bakterien ansetzen und Strahlenpilze sowie echte Pilze an der großen Oberfläche die chemische
Verdauung übernehmen..
Vor allem bewohnen kleinere Tierchen den Boden, aber auch wurmförmige Arten sind gut an dieses
Milieu angepasst. Herausragend an Masse und Bedeutung ist hier ist der bekannte Regenwurm.
Zoologisch heißt er Lumbricus terrestris, also Erdwurm, das beschreibt seine ökologische Stellung
genauer. Sein Verdauungstrakt ist so etwas wie eine ideale Mischanlage für organische und
anorganische Bodenbestandteile. In ihnen findet die Verbindung der mineralischen Verwitterung
und der organischen Verwesung statt. Im Regenwurmkot werden organische Stoffe aus zerlegtem
Grün und anorganische Tonkolloide aus dem Grundgestein (wir erinnern uns) verbunden, es
entsteht der wertvolle Ton-Humus-Komplex, das Gold des Bodens. Außerdem sondern die Würmer
Schleim ab, der die Bodenteilchen zu Krümeln verklebt. Die erhalten die luftige Struktur. Jede
Gärtnerin ist beglückt, wenn sie durch Zugabe von dunklem Kompost die Erde krümelig bekommt.
Durch leichtes oberflächliches häckeln am besten. Für eine tiefe Durchmischung der
Bodenschichten sorgt der Regenwurm wie kein anderes Bodentier. Mit ihren weit in die Tiefe
reichenden Gängen schaffen diese muskulösen Tiere eine ausgezeichnete Durchlüftung und
Drainage und Gänge für die Pflanzenwurzeln.
Unendlich viel größer als im Komposthaufen, läuft die Neubildung der Erde im Wald ab. In dem
halbvergorenen Laub finden die mehrzelligen, echten Pilze ihr Lieblingsmilieu. In einer großen
Artenvielfalt in gut genährtem Boden durchziehen sie mit ihren Hyphen meterweit den Boden,
umschlingen Wurzeln und nähren sie mit ihren löslichen Abbauprodukten. Dabei bilden sie im Wald
zusammen mit den Bäumen Lebensgemeinschaften, Symbiosen und insgesamt eine so große
Biomasse, dass sie den Wasserhaushalt des Bodens regeln und die Nährstoffe bereitstellen und
speichern. Ein Wunder an Zusammenarbeit, das es auf Wiesen und Feldern so nicht gibt.
Wenn man einen guten Boden haben möchte, sollte frau sich gut stellen mit den Erdwürmern. Die
Ton-Humus-Komplexe, die Krümel und die dunklen Huminsäuren in der Scharzerde sind ja
allesamt Zwischenprodukte, sie werden von Pflanzen und Tieren aufgenommen und verbraucht..
Damit die Mikroflora und die Bodentiere weiter fleißig sein können, müssen sie genährt werden.
Womit? Auf keinen Fall mit Erde aus dem Baumarkt. Die kommt aus osteuropäischen Mooren, d h
für diesen Handel werden große Moore zerstört, was extrem klimaschädlich ist. Am
naheliegendsten, sozusagen von der Natur so eingerichtet ist die Bodenpflege mit heimischer
Pflanzenmasse. Ist es nicht wunderbar, dass jeden Herbst reichlich Blätter von den Bäumen fallen.

Zuerst spenden sie frische Luft, dann nähren sie die Erde und alles was darin lebt, damit die
Pflanzen auf der Erde davon wachsen können. Und das halbjährlich im Wechsel. Ist das nicht
genial. Schade, dass wir das Laub aus der Stadt hinaus bringen, weil man auf glatte Wege, die
Verkehrssicherheit achten muss. Die Sauberkeit kommt uns deshalb als allgemeine Tugend vor. Das
finde ich allerdings nur zur Hälfte richtig. Die Sauberkeit muss kombiniert werden mit der
Bodenpflege, damit die Böden nicht auslaugen, sondern schön humusbraun werden. Habt Ihr
gewußt, dass die Böden auf diese Weise der größte CO² Speicher der Welt sind?
Zur Anschauung haben die Bienenweiber vom BUND und ich von Umweltteam einen
Laubkomposthaufen vor der Blosenbergkirche fachkundig angemischt. Ebenso in meinem Garten
und auf den Krähwinkel haben wir 28 Säcke Laub vom Haus der Begegnung gebracht. Fachkundig
bedeutet, dass das trockene Laub gesammelt, mit 100 l Wasser befeuchtet, mit zwei Schubkarren
frischem Gras und Hornspänen genährt und mit zwei Eimern Kompost angeimpft wurde. Beim
gelegentlichen Ummischen kann man den Fortschritt beobachten.
Die Vielfalt der Bodenbildner ist so groß, dass sie sich in jeder Situation auf der Erde zu
Verdauungsgemeinschaften zusammentun, die langsam oder schnell fruchtbaren Boden bilden.
Unter den widrigsten Umgebungen im Hochgebirge oder auf Sandinseln im Fluss wird Erde
produziert und damit höherem Leben der Boden bereitet. Ein Naturgesetz? Das Ergebnis einer
Jahrmillionen langen Evolution von Gestein und Lebewesen ist die Erde. Wunderbar.
Kohlenstoff/Stickstoffverhältnis
Harn 0,8
Fäkalien 6-10
Grünmasse 7
Humus der Schwarzerde 10
Mistkompost 8 Monate kompostiert 10
Rasenschnitt 12
Kot landw. Nutztiere 15
Hülsenfruchtstroh 15
stroharmer Frischmist 20
Küchenabfälle 23
Fichtennadeln 30
frischer Stalldung mit Stroh 30
Schwarztorf 30
Baumlaub 50
Weißtorf 50
Roggenstroh 65
Weizenstroh 125
Sägemehl 511
Bilder von Bodenlebewesen:
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